Wie Behörden Bürgerrechte aushebeln

Widerspruch – Wie Behörden Bürgerrechte aushebeln          

Joachim S. aus Mülheim in Nordrhein-Westfalen soll gleich zweimal für die Straßenreinigung zahlen. Einmal für die Straße, die vor seinem Haus verläuft. Das macht er schon immer. Doch nun soll er auch noch für eine Straße zahlen, die gar nicht an sein Grundstück grenzt. 

 

„Wir sollen plötzlich für eine Straße zahlen, die hinter diesem Wall liegt, obwohl wir sie gar nicht sehen können, sondern nur hören. Und das finde ich empörend.“ Joachim S.

 

Und das nicht nur für dieses Jahr, sondern für vier Jahre rückwirkend – laut Bescheid etwa 175 Euro.

 

Joachim S. will Widerspruch einlegen, doch das ist nicht mehr möglich. Seit Ende 2007 ist das einfache und kostengünstige Widerspruchsverfahren in Nordrhein-Westfalen abgeschafft. Damit bleibt für Betroffene nur die Wahl zwischen Zahlung der Gebühr oder dem kostspieligen Klageweg.

Fragwürdiger Bürokratieabbau

 

Nordrhein-Westfalen ist kein Einzelfall. Immer mehr Bundesländer halten das Widerspruchsverfahren für überflüssig und schafften es ganz oder teilweise ab. Zuständig für die Abschaffung sind die Innenministerien. In Nordrhein-Westfalen heißt es, das Widerspruchsverfahren habe die Kommunen viel Geld und Zeit gekostet. Mit der Abschaffung würde man Geld sparen und vor allem Bürokratie abbauen. 

 

Rechtswissenschaftler wie Prof. Dr. Friedhelm Hufen von der Universität Mainz halten dies für den falschen Weg:

 

„Das ist kein Abbau von Bürokratie, die Bürokratie bleibt ja erhalten, es ist nur ein Abbau von Rechtschutz zu Ungunsten des Bürgers. Und es wird als Bürokratieabbau und als schlanker Staat verkauft und das ist ein Etikettenschwindel sondersgleichen.“ Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Universität Mainz, Verwaltungsrecht

 

Verwaltungsrichter werfen den Behörden vor, das Problem einfach nur zu verlagern – auf die Verwaltungsgerichte. So hat sich nach der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Nordrhein-Westfalen die Zahl der neuen Fälle gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt: auf 10.256 Klagen.

 

„Die Klagen beschäftigen sich mit Banalitäten, mit kleinen Detailfehlern … Die wären in der Behörde beim Widerspruchsverfahren problemlos selbst aufgefallen. Nun müssen wir – als Richter – diese Arbeit tun und auf die Fehler hinweisen. Das ist unnötig.“ Christoph Heydemann, Vorsitzender Bund der Verwaltungsrichter

 

Joachim S. und die anderen Anwohner aus Mülheim waren nun gezwungen, einen Anwalt zu bezahlen und die Gerichtskosten vorzuschießen. Jeder von den Anwohnern musste einzeln Klage erheben. 

 

Letztlich mit Erfolg. Denn kurz nach Klageeinreichung hat die Stadt Mülheim plötzlich die Bescheide aufgehoben. Zu einer Verurteilung ist es gar nicht erst gekommen. Der Grund: Die Richterin hat sich bereits vor Prozessbeginn mit der Stadt in Verbindung gesetzt und deutlich gemacht, dass deren Rechtsauffassung auch in einer Verhandlung keinen Bestand hätte. 

 

Nun muss die Stadt die entstandenen Kosten der Betroffenen übernehmen. Für Experten wie Prof. Friedhelm Hufen ist klar:Um solche Probleme kostengünstig und bürgerfreundlich zu lösen, sollte man das Widerspruchsverfahren nicht abschaffen, sondern verbessern.

 

„Der große Witz der Geschichte ist, nicht nur in der Wissenschaft sondern auch in der Politik redet alles von Mediation. Das heißt: Konflikte sollen bereinigt werden, bevor es zur Gerichtsbarkeit kommt. Aber gleichzeitig schafft man das wichtigste Verfahren der Mediation, nämlich das Widerspruchsverfahren ab. Das ist unsinnig.“ Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Universität Mainz

 

Dieser Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 21.10.2008. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.

 

Comments are closed.