IT-Giganten stricken am Menschen-Netz

Großes geschieht im Community-Netz. Microsoft will Hunderte von Millionen für einen Anteil an Facebook ausgeben – und Google plant ein eigenes Supernetz. Die Giganten der Branche basteln an globalen sozialen Plattformen der Zukunft. Und an einer völlig neuen Form von Marketing.

Von Christian Stöcker

Weltumspannender Freundeskreis: Das globale Sozialnetz soll die Marketingplattform der Zukunft werden

Ein Begriff treibt Kapitalgeber und Netz-Unternehmer in den USA derzeit um – und den Wert von Unternehmen wie Facebook in schwindelnde Höhen: „social graph“. Diesen sozialen Graphen muss man sich wie ein feines Netz von Linien vorstellen: Verbindungen, die den Globus umspannen. Information huscht diese Verbindungen entlang wie Aktionspotentiale die Nervenfasern. Nur dass die Knotenpunkte keine Nervenzellen sind, sondern Menschen.

Das klingt schön, macht aber noch nicht reich. Nun aber entwickelt sich eine Idee, wie die Netzwerk-Effekte endlich auch Geld einbringen sollen: Das Marketing der Zukunft, davon träumt im Augenblick eine globale Business-Elite, verläuft entlang dieser Verbindungslinien von Mensch zu Mensch.

Werbebotschaften sollen wie Funken durch das globale Menschen-Netzwerk rasen und sich an den Knoten festsetzen – weil eine Empfehlung durch einen Freund oder Bekannten tausendmal mehr wiegt als ein Fernsehspot oder eine Anzeige. Microsoft und Google setzen alles daran, dabei vorne mitzuspielen. Der Suchmaschinengigant will dieses Netz offenbar weit aufreißen – und es außerdem um eine Art globales „Second Life“ erweitern.

Microsoft hat einem Bericht des „Wall Street Journal“ zufolge 500 Millionen US-Dollar für fünf Prozent von Facebook geboten – man hat den Gesamtwert der einstigen Studenten-Community somit auf zehn Milliarden Dollar angesetzt. Vermutlich ein gutes Investment, denn Facebook hat das Huschen der Funken durchs Netzwerk zum Prinzip gemacht: Jedes Mal, wenn ein Benutzer der Plattform dort irgendetwas tut, wird das all seinen Kontakten mitgeteilt.

Das gilt auch für die Installation neuer Anwendungen: Wenn Nutzer A in sein Facebook-Profil ein von der Firma Red Bull gesponsortes „Stein-Schere-Papier“-Spielchen einbaut, wird das allen anderen Nutzern in seiner Kontaktliste automatisch mitgeteilt. Facebook hat damit die Mundpropaganda automatisiert.

Addiert man die Möglichkeit, auf Profilseiten durch neue Marktforschungs-Methoden immer gezielter zum Nutzer passende Werbung zu schalten, wird Facebook zur Marktetingplattform der Zukunft. Die Nutzer wiederum goutieren die automatischen Updates über den Freundeskreis durchaus – kein Netzwerk wächst derzeit so schnell wie Facebook. „Im Moment liegt das Wachstum bei drei Prozent pro Woche“, sagte Gründer Mark Zuckerberg vor kurzem bei einer Konferenz. Microsofts eigenes Community-Angebot „Wallop“ kann da nicht mithalten. Es ist seit einem Jahr in der geschlossenen Erprobungsphase – Launchdatum offen.

„Die globale Kartierung aller Menschen“

Googles eigenes Netzwerk Orkut läuft auch nicht so toll – außer in Brasilien und Iran, wo Orkut allen Mitbewerbern den Rang abläuft. Nun hat sich der Netzgigant Fachkräfte aus der Community-Wirtschaft zusammengekauft, namentlich den ehemaligen Chefarchitekten des Blognetzwerkes SixApart, Brad Fitzpatrick. Der schrieb im August einen vielbeachteten Blogeintrag mit dem Titel „Thoughts on the social graph“, der sich als Prophezeiung dessen lesen lässt, was Google nun vorhat – und was Facebook möglicherweise noch fehlt. Fitzpatrick will, dass sich alle Netzwerke füreinander öffnen. Er will, dass die vielen einzelnen Communitys zu einem großen Ganzen verschmelzen, einem globalen Graphen.

„Was ich mit ’social graph‘ meine“, schrieb Fitzpatrick, „ist die globale Kartierung aller Menschen und ihrer Verbindungen untereinander.“ Er schlägt ein System vor, das „die Graphen aller anderen Social Network Sites sammelt, verknüpft und in Form eines globalen aggregierten Netzwerks wiedergibt“. Das solle niemandem gehören, sondern „open source“ sein, offen für alle. Fitzpatricks alter Arbeitgeber hat genau diese Öffnung eben zum Programm erhoben.

Für die Nutzer soll das den Vorteil bringen, dass sie sich nicht ständig bei neuen Netzwerken anmelden müssen – das Über-Netzwerk soll sie erkennen, wenn sie in einer neuen Community auftauchen und beispielsweise anbieten, ihre Freundeslisten von anderen Netzwerk-Seiten zu übertragen.

Eine Grundrechteerklärung für die Profil-Junkies

So mancher Profil-Junkie hüpft heute von MySpace zu Facebook, von StudiVZ zu Xing, um überall nach neuen Nachrichten, Gästebucheinträgen oder Profiländerungen von Freunden zu suchen. Wer ein neues Netz betritt, kann Tage damit verbringen, alle Kontakte aus dem alten Netz wiederzufinden, indem er Namen für Namen in ein Suchfenster tippt. Das will Fitzpatrick künftig überflüssig machen. Daten sollen aus den Netzen heraus und in andere hineinverfrachtet werden können. In den Tagen, nachdem die ersten Spekulationen über Googles Community-Pläne bekanntgeworden waren, stieg der Börsenkurs der Suchmaschine auf ein neues Allzeithoch.
So mancher Profil-Junkie hüpft heute von MySpace zu Facebook, von StudiVZ zu Xing, um überall nach neuen Nachrichten, Gästebucheinträgen oder Profiländerungen von Freunden zu suchen. Wer ein neues Netz betritt, kann Tage damit verbringen, alle Kontakte aus dem alten Netz wiederzufinden, indem er Namen für Namen in ein Suchfenster tippt. Das will Fitzpatrick künftig überflüssig machen. Daten sollen aus den Netzen heraus und in andere hineinverfrachtet werden können. In den Tagen, nachdem die ersten Spekulationen über Googles Community-Pläne bekanntgeworden waren, stieg der Börsenkurs der Suchmaschine auf ein neues Allzeithoch.

Vier Silicon-Valley-Berühmtheiten haben kürzlich eine “ Bill of Rights für Nutzer des sozialen Webs“ veröffentlicht, in der sie Dinge fordern, die Fitzpatricks Ideen ziemlich nahe kommen – und den User ins Zentrum stellen: Der soll Eigentumsreche für persönliche Information wie Profildaten, Freundeslisten und Aktivitätsprotokolle bekommen. Damit könne er einerseits kontrollieren, wer diese Informationen einsehen kann und andererseits die Möglichkeit bekommen, diese Information überall zu verwenden, wo er möchte. Also auch sein Aktivitäts-Logbuch von Facebook in seine MySpace-Seite einbinden. Die sozialen Plattformen sollen sich dem digitalen Sozialleben der Netznutzerschaft unterordnen, nicht umgekehrt.

Facebook ist derzeit zwar offen – aber eben noch nicht ganz. Jeder kann Anwendungen für das einstige Studentennetzwerk entwickeln, sich gewissermaßen in Facebooks Social Graph einhängen und auch Geld damit verdienen. Aus Facebook heraus dringt bislang allerdings wenig – die Möglichkeit etwa, das eigene Aktivitäts-Protokoll zu exportieren und in die eigene Blog-Seite einzubinden, besteht nicht. Facebook kann mittlerweile per Suchmaschine durchsucht werden, ein bisschen Information dringt also auch von drinnen nach draußen. Manchem geht selbst dieser Schritt schon zu weit – und manchem nicht weit genug. “ Wenn Facebook zu 98 Prozent offen ist, will Google 100 Prozent erreichen“, orakelte kürzlich das Tech-Blog Techcrunch. Inzwischen übernehmen den Job der Community-Verknüpfung andere: Etwa der eben in Betaphase gestartete Anbieter Fuser, der Netzwerk-Informationen aus MySpace und Facebook mit E-Mail-Eingängen verknüpfen will – auf einer einzigen Seite.

Die Tech-Freaks aus Kalifornien beginnen denn auch, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg immer lauter zu kritisieren. Facebook drohe, seine Nutzer einzusperren und damit zu dem zu werden, „was AOL in den Neunzigern war“, schrieb David Recordon – übrigens Fitzpatricks Nachfolger bei SixApart. Das AOL-Konzept des „ummauerten Gartens“ inmitten eines freien und offenen Internets gilt als auf ganzer Linie gescheitert.

Offenes Netz aus Profilen und Avataren?

Fitzpatrick, die Autoren der „Grundrechtecharta fürs soziale Web“ und viele andere wollen den Nutzer und seinen Freundeskreis aus den ummauerten Gärten befreien – und wenn ein Unternehmen die Marktmacht hat, einen solchen Plan durchzusetzen, dann ist es Google. Für den 5. November haben die Suchmaschinisten eine Enthüllung angekündigt – es könnte gut sein, dass es sich um die ersten Schritte zum globalen Super-Graph handelt. Beobachter erwarten, dass zunächst Verknüpfungen von Googles personalisierbarer Startseite iGoogle und dem hauseigenen, global allerdings nur mäßig erfolgreichem Community-Angebot Orkut realisiert werden. Mit Fitzpatrick am Ruder ist jedenfalls wahrscheinlich, dass Google das Thema soziale Verknüpfungen im Netz auf eine neue Stufe heben will – womöglich gleich in doppelter Hinsicht, nicht nur als Super-Graph, sondern auch als 3-D-Anwendung.

Für die Nutzer ist das gut – wenn die Entwickler sich an die eigenen hehren Regeln zum Schutz von Nutzerdaten und Privatsphäre halten. Für Vermarkter dagegen wäre das soziale Supernetz eine völlig neue Plattform, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt – ein Netzwerk, das womöglich jeden Einkauf bei Amazon, jeden Song-Download bei iTunes und jedes online gekaufte Konzert-Ticket an alle Freunde des Käufers weitermeldet – wo auch immer die sich aufhalten. Die Vermarkter jauchzen schon.

Wenn die Gerüchte über Testläufe in einer digitalen 3-D-Welt auf Basis von Google Earth stimmen, könnten die Suchmaschinisten das Ganze mit einer Art „Second Life“ auf der echten Weltkugel flankieren – das können die anderen noch nicht. Das Ergebnis wäre etwas ganz Neues: ein offenes Netz aus Profilen und Avataren, virtuellen und echten Freunden und Bekannten, das den digitalen Globus ebenso umspannt wie den realen.

Quelle: web.de

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